In der Grauzone

In beruflichen Krisensituationen suchen Führungskräfte erfahrungsgemäß lieber einen Coach auf als einen Therapeuten. Betrachtung einer unscharfen Grenze aus juristischem Blickwinkel.

Anfänglich war ich verwirrt, als ich im Rahmen der Ausbildung zum Heilpraktiker für Psychotherapie von Anpassungsstörungen erfuhr. Das sei das Alltagsgeschäft das Coaches, dachte ich spontan. Wann dürfen wir von beruflichem Stress sprechen, wann von einer krankhaften Störung? Das ist deshalb wichtig, da Coaches keine Heilbehandlung vornehmen dürfen. Also machte mich auf den Weg, die juristische Grenze zwischen Coaching und Heilung, oder auch: zwischen Persönlichkeitsentwicklung und Psychotherapie, zu erkunden.

Zunächst: Wie sehen die äußeren Rahmenbedingungen aus?

Nach Meinung von Jari Hansen, Rechtsanwalt aus Hamburg, ist der Begriff des Coachings vor allem in rechtlicher Hinsicht von der Ausübung der Heilkunde abzugrenzen.

Ein Blick ins Gesetz

Wann liegt eine unerlaubte Heilbehandlung vor?

Grundsätzlich ist die Ausübung der Psychotherapie zunächst Ärzten und Psychologischen Psychotherapeuten vorbehalten. Wer weder über eine ärztliche Approbation verfügt noch als Psychologischer Psychotherapeut zugelassen ist, benötigt für seine Tätigkeit als Psychotherapeut die entsprechende Erlaubnis als „Heilpraktiker/in, eingeschränkt auf den Bereich der Psychotherapie“.Grundlage für die Erteilung der o. g. Erlaubnis ist das Heilpraktikergesetz (s. o.) in Verbindung mit der ersten Durchführungsverordnung zum Heilpraktikergesetz (RGBL. I S. 259) und der Richtlinie zur Durchführung des Heilpraktikergesetzes.

Den Begriff Heilkunde definiert der Gesetzgeber im Heilpraktikergesetz (HeilprG), und zwar nur dort. In Paragraph 1, Absatz 2 heißt es: „Ausübung der Heilkunde im Sinne dieses Gesetzes ist jede berufs- oder gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden bei Menschen…“.

In Strafverfahren wegen Verstoßes gegen das HeilprG hat sich laut Jari Hansen die vom Bundesgerichtshof, BGH, entwickelte „Eindruckstheorie“ durchgesetzt. Heilkunde wäre nach § 1 HeilprG jedes Handeln, das bei dem Behandelten den Eindruck erweckt, ihm Heilung oder Linderung einer krankhaften Störung zu verschaffen. Entscheidend ist nach dieser Rechtsprechung nicht, welche Heil- oder Behandlungsmethoden angewandt werden, sondern dass die ausgeübte Tätigkeit auf Heilung oder Linderung von Krankheiten, Schmerzen und Leiden abzielt.

Es kann also zum juristischen Problem werden, wenn ich es als Coach zum Ziel erkläre, eine Schlafstörung, Flugangst (Phobie) oder eine leichte Depression im Rahmen des Coachings mildern oder beseitigen zu helfen. Es ist demnach ratsam, den Sprachgebrauch für das eigene Profil und die angebotene Dienstleistung im Internet oder auf Flyern anhand der „Eindruckstheorie“ zu prüfen. Die juristisch relevante Frage ist, wann eine Störung noch als „normal“ und wann als krankhaft einzustufen ist. Dieser Frage wollen wir anhand unterschiedlicher Szenarien skizzieren.

Es kann juristisch zum Problem werden, wenn ich als Coach sage, dass ich eine Schlafstörung oder Flugangst beseitigen helfe.

Das folgende Beispiel ist fiktiv, aber typisch. In einem internationalen Konzern gab es eine Umstrukturierung des Unternehmens mit Wechsel des Managements. Der Klient, Herr Müller fühlt sich seit dem in seiner Position als Abteilungsleiter abgelehnt. Der neue Chef, so ist er sich sicher, hätte es auf ihn abgesehen und „säge“ an „seinem Stuhl“, um ihn loszuwerden. Ihn plagten ausgeprägte Existenzangst und Schlafprobleme. Zielloses Grübeln über die Zukunft kosteten Kraft und Energie. Er wirkte emotional instabil, „ausgebrannt“.

Den Rat seiner Frau, einen Psychotherapeuten aufzusuchen und sich krank schreiben zu lassen, lehnte er mit folgenden Worten ab: „Ich bin nicht krank, ich brauche eine Lösung!“ Weiter glaubte Herr Müller, dass sein Chef ihn sonst als „nicht belastbar“ einstufen, und kündigen würde. Herr Müller holt sich einen Termin bei einem Business-Coach, der auf berufliche Krisen spezialisiert ist.

Grauzone Krisenintervention

Zunächst wird das äußere Konfliktumfeld analysiert und strukturiert. Es ist notwendig, die Dynamik der Krise zu verstehen und fachliche und strategische Ansatzpunkte zu finden, um eine individuelle Lösung zu erarbeiten. Häufig geht es darum, Abfindungsverhandlungen zu begleiten, ein qualifiziertes und wohlwollendes Zwischenzeugnisse zu verlangen, professionelle Bewerbungsunterlagen zu erstellen, berufliche Kontakte aus dem eigenen Netzwerk zu aktivieren oder einen unternehmensinternen Stellenwechsel zu bewirken. Die Rechte des Arbeitnehmers müssen verstanden und gestärkt werden. Im Fall von Herrn Müller würde ich empfehlen, einen Anwalt für Arbeitsrecht hinzu zu ziehen.

Parallel werden die inneren Konflikte transparent gemacht, die Herr Müller nicht ausreichend wahrnahm. Die Selbstreflexion der bewussten und unbewussten Verhaltensstrukturen und Ängste ist wichtig, um Raum für neue Handlungsmöglichkeiten zu schaffen. Ziel ist es, Akzeptanz gegenüber dem Unveränderlichen zu entwickeln, vorhandene Ressourcen zu aktivieren, Handlungsalternativen zu ermöglichen und Zuversicht für neue Ziele und Perspektiven aufzubauen. Die unbewussten Glaubenssätze über die eigene Rolle und den Ausgang der Krise sind dabei entscheidend.

Im Coaching sprechen wir auch von der „Weg von – hin zu“-Strategie. Also weg von dem Problem und hin zu einem Ziel, das motivations- und damit ressourcensteigernd wirkt.

Ich bin der Überzeugung, dass der bestmögliche Ausgang aus einer Krise deren Bewältigung ist. Diese Einschätzung teilt auch Christian Reimer, Facharzt für Psychosomatik, Medizin und Psychotherapie. In seinem Buch „Psychotherapie“ lese ich dazu: „Fällt ein Nichtschwimmer ins Wasser, so erteilt man ihm keinen Schwimmunterricht, sondern wirft ihm einen Rettungsring zu.“ Unter „Schwimmunterricht“ versteht er die klassischen Therapiemethoden, wie die kognitive Verhaltenstherapie oder die Psychoanalyse. Das Lösen emotionaler Blockaden bis hin zur Traumatherapie sind hingegen ein wichtiger Bestandteil des Rettungsrings.

In unserem Beispiel übernimmt der Business-Coach die Rettungsmaßnahmen und kurzfristig die Führung oder auch ICH-Funktion für den Hilfesuchenden. Dabei sind ihm juristische Grenzen gesetzt.

Realängste oder neurotische Störung?

Denn auch in der beruflichen Krise gilt: Coaches dürfen Blockaden abbauen und Ressourcen stärken, für die Arbeit an krankhaften Störungen benötigen sie juristisch betrachtet eine Heilerlaubnis! Der Coach sollte entsprechend in der Lage sein, Realängste (also Angst vor objektiv bestehender Gefahr, etwa einem drohenden Stellenabbau oder Prüfungsangst) von neurotischen Störungen zu unterscheiden. In beiden Fällen erleben die Betroffenen die Symptome als belastend und störend. Bei der Neurose liegt die eigentliche Ursache allerdings in ungelösten frühkindlichen Konflikten, die sich in einer aktuellen Situation offenbaren. Zur Gruppe der neurotischen Störungen zählen Angststörungen, Panikstörungen, Phobien, Zwangsstörungen und dissoziative Störungen. In solchen Fällen muss ein Psychotherapeut in den Prozess eingebunden werden.

Ein Coach sollte in der Lage sein, Realängste von neurotischen Störungen zu unterscheiden.

Wäre es womöglich die bessere Alternative, gleich zu einem Therapeuten zu gehen, der Kriseninterventionen anbietet? Nicht unbedingt, denn auch Therapeuten unterliegen rechtlichen Grenzen. Sie dürfen weder eine berufliche Beratung, noch strategisch notwendige Maßnahmenpläne über die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) mit der Krankenversicherung abrechnen.

Konzentriert sich der Therapeut nur auf die inneren Konflikte und lässt er die äußeren, zum Beispiel die arbeitsrechtlichen, außer acht, so kann es für den Patienten fatale Folgen haben. Verlässt ein Hilfesuchender seinen Arbeitgeber voreilig, ohne für seine Rechte zu kämpfen, oder für sich das Beste rauszuholen (Abfindung, Zwischenzeugnis), so kann eine Kündigung schnell als Niederlage wahrgenommen werden und die Krise bleibt als „Versagen“ in seiner Erinnerung. Das kann zu Resignation oder Chronifizierung führen und Depressionen auslösen.

Coaches und Psychotherapeuten müssen im Rahmen ihrer Sorgfaltspflicht gleichermaßen unterscheiden zwischen Krisen, die eine Beratung bzw. fachliche Krisenintervention erfordern, und psychischen Zuständen, bei denen Ärzte oder Psychotherapeuten eingeschaltet werden müssen. Die Verantwortung, einen Menschen in einer solchen Krise professionell zu begleiten, ist hoch. Es spricht also vieles für eine Zusammenarbeit von Business-Coach und Therapeut, sofern der Coach keine Heilerlaubnis hat. Grundsätzlich gilt für Coaches und Therapeuten gleichermaßen: „Wer das Feld des sicheren Könnens verlässt, riskiert bei einem etwaig eintretenden Schaden den Vorwurf der Körperverletzung.“ BGH mit Urteil vom 10.07.1996 (IV ZR 133 / 95)

Normale Reaktion oder Anpassungsstörung?

Die größte Schnittmenge zwischen Therapie und Coaching bilden die Anpassungsstörungen, die häufig als Restkategorie verwendet werden, weil die Symptome für übergeordnete Diagnosen nicht ausreichen. Hier geht es darum, dass Menschen lernen, mit kritischen Lebensereignissen bzw. Schicksalsschlägen umzugehen, die kein außergewöhnliches oder katastrophales Ausmaß hatten. Auslöser können Entlassung, Mobbing, Schulwechsel, Trennung, Heirat, Scheidung oder die Geburt eines Kindes sein. Hierunter fällt auch das „Burn-out“, das Alltagsgeschäft des Coaches! Den einen gelingt die Bewältigung aus eigener Kraft. Andere verharren über Monate in Zuständen von Angst, Sorge oder Trauer oder sie fallen in depressive Stimmungen, was bis zu Selbstmordgedanken führen kann. Wann aber wird aus einer normalen Reaktion eine krankhafte Störung?

Da es keine einheitlichen Diagnosekriterien gibt, kann der Übergang von der Blockade zur Krankheit juristisch nur für den Einzelfall geklärt werden. Volker Faust, Arzt für Neurologie warnt: „Wenn man davon ausgeht, dass niemand von psychosozialen Belastungen aller Art verschont bleibt, dann kann man sich denken, dass mit einer solchen Diagnose dem gehäuften Auftreten seelischer Störungen Tür und Tor geöffnet sind.“

Die größte Schnittmenge zwischen Therapie und Coaching bilden die Anpassungsstörungen.

Letztendlich entscheidet das subjektive Empfinden des Betroffenen, ob er sich krank fühlt, was auch einem Zeitgeist unterliegt. Reichen die Symptome für eine übergeordnete Diagnose nicht aus, so dürfte Herr Müller mit seinem Anliegen bei einem Business-Coach in guten Händen sein. Denn er sagt: „Ich bin nicht krank, ich brauche eine Lösung.“

Weckruf

Unstrittig ist: Kranken muss geholfen werden. Nun „entdeckt“ die moderne Medizin immer neue Krankheitsbilder, die Eingang in aktuelle Diagnosesysteme finden. Das stetige Herabsetzen der Krankheitsschwelle führt dazu, das bald kaum ein Mensch mehr als psychisch gesund gelten kann, womit der Markt für Coaches juristisch betrachtet schwindet. Aus Lampenfieber könnte bald eine „Stage-fright-Disorder“ und aus Ängsten vor einem Vorstellungsgespräch eine „Interview-Phobie“ werden.

Unsere Gesellschaft neigt immer mehr dazu, Herausforderungen des Lebens als Krankheit zu erklären. Das kann weder im Interesse der Versicherungen, noch der Betroffenen sein. Selbst Therapeuten streiten immer häufiger über die Grenzen von Gesundheit und seelischer Erkrankung und warnen vor einer Überdiagnostik. Coaches und deren Verbände haben sich zu lange aus diesen Diskussionen raus gehalten. Eine Heilerlaubnis hat juristische und fachliche Vorteile, die zu nutzen jeder für sich prüfen sollte.

Dieser Artikel ist im Magazin Praxis Kommunikation im Heft 01/2015 vom Junfermann Verlag erschienen und im Mai 2020 für bsdr4you online gestellt (An der Rechtslage hat sich nichts genändert)

Literaturliste:

C. Reimer, J. Eckert, M. Hautzinger, E. Wilke (2000): Psychotherapie, 2. Auflage, Berlin, Heildelberg, New York: Springer Verlag

Hans-Jürgen Möller, Gerd Laux, Arno Deister (2009): Psychiatrie und Psychotherapie 4. Auflage. Stuttgart: Thieme Verlagsgruppe

Der Spiegel, Ausgabe 4/2013: Die Psycho-Falle, Therapeuthen streiten über die Grenzen zwischen Gesundheit und seelischer Erkrankung

Saskia Terber (2009): Doktorarbeit zum Thema: Validität eines neuen diagnostischen Konzeptes für Anpassungsstörungen

Faust, Volker: www.psychosoziale-gesundheit.net/psychiatrie

Pringausgabe erschienen in Praxis Kommunikation, Heft 1, Februar 2015 im Junfermann Verlag
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