Die sechs Reifegrade der Hirnentwicklung

Die Persönlichkeit wird von unterschiedlichen Einflusskräften geformt. Die Hirnentwicklung ist eine davon.

Wenn Spermium und Eizelle aufeinander treffen, beginnt ein wundersamer Prozess. In nur 280 Tagen wird der menschliche Körper samt Hirnmasse und Nervenstränge geformt. Das Gehirn bildet sich ab der Entstehung des frühen Embryos. Es wandelt sich bis zum Jugendalter und ist mit fünfundzwanzig Jahren strukturell weitestgehend abgeschlossen.

Die Etappen der Hirnentwicklung kurz zusammengefasst:

Als Säugling sind wir mit einem grobmaschigen, aber funktionsfähigen neuronalen Netzwerk ausgestattet, welches mit seinen etwa 100 Milliarden Nervenzellen (auch Neuronen genannt) etwa ein Viertel des Gewichts im Vergleich zu einem Erwachsenen auf die Waage bringt. Durch Erfahrungen bilden sich entweder neue synaptische Verbindungen oder es werden bereits bestehende Verknüpfungen zwischen Nervenzellen verstärkt. Anatomisch betrachtet sind Lernprozesse somit Veränderungen der neuronalen Feinstruktur. Im Alter von zwei Jahren haben Kinder die Synapsen-Anzahl Erwachsener erreicht, mit drei Jahren sogar verdoppelt. Hiermit kann neben der Fähigkeit, Neues zu lernen, vor allem die Anpassungsfähigkeit an Familie und Umwelt gesichert werden. Hierbei wird von einer Überproduktion synaptischer Verbindungen gesprochen, die bis zum 10. Lebensjahr in nahezu konstanter Weise anhält. Die Neuronen, die für individuell-soziale und geistige Fähigkeiten erforderlich sind, erwachen  – auch bei besten Umweltbedingungen – erst im Alter von ca. sechs Jahren  aus ihrem Dämmerschlaf. Um das 10. Lebensjahr herum wird dann eine Art synaptischer Entrümpelung und Neuausrichtung eingeleitet: Funktional gesehen werden die blinde Anpassungsfähigkeit und die damit einhergehende Macht der emotionalen Konditionierung auf unser Verhalten gedrosselt. Dann erst kann die strukturelle Entwicklung des individuell-sozialen Ichs voll durchstarten, die dem Heranwachsenden ermöglicht, Ich-Stärke, Einsicht und Vernunft zu entwickeln.  

Wie ist zu erklären, dass einige Menschen trotz größter Bemühungen und bester Umweltbedingungen in bestimmten Stadien seelischer und geistiger Unreife verharren und sich somit auch als Erwachsene übermäßig angepasst oder wie ‚halbstark‘ zeigen? Oder dass es umgekehrt auch Kinder oder Jugendliche gibt, die, gemessen an ihrem biologischen Alter, trotz schwierigster Umweltbedingungen ungewöhnlich reif und integer wirken?

Für solche und andere Fragen wurde dieses Buch geschrieben. 

Zum Foto: Ich freue mich, dass ich vom Goldegg-Verlag als Expertin für Persönlichkeitsdiagnostik ausgewählt wurde, in diesem Sammelband (wenn auch nur sehr knapp) über meine Arbeit berichten darf. Nachfolgend mein Beitrag im Sammelband.

Die sechs Reifegrade der Hirnentwicklung

Menschen haben nachweislich verschiedene Eigenschaften, die zum Teil von Geburt an vorhanden sind. Auf den Neurowissenschaftler Gerhard Roth geht die Annahme zurück, dass sich die Persönlichkeit eines Menschen in vier funktionale Ebenen unterteilen lässt (s. Grafik). Geformt werden diese in unterschiedlichen Lebensabschnitten (Fußnote 1).

Bereits im Mutterleib beginnt die neuronale Entwicklung im Stadium des ‚instinktiven, unbewussten Wir‘. Das Ziel dieser Entwicklung liegt in der Ausbildung verschiedener instinktiver, psychischer, seelischer und geistiger Fähigkeiten. Gelingt sie ohne Unterbrechungen und Störungen, mündet dieser Prozess in der Entfaltung des ‚empathischen, bewussten Ichs‘.

Es lässt sich allerdings beobachten, dass sich diese Entwicklung nicht immer bis zu ihrem Ende vollzieht, denn in manchen Fällen kommt dieser Reifungsprozess in bestimmten Entwicklungsetappen zum Stehen. An welchen Punkten dies geschieht, ist wissenschaftlich bisher weder begründ- noch vorhersagbar. Es ist jedoch zu vermuten, dass der jeweilige Endpunkt dieses Prozesses auch bei besten Umweltbedingungen in der Gesamtpersönlichkeit eines jeden Menschen individuell festgeschrieben ist. Die Reifegradabfolge darf somit nicht als Weg verstanden werden, den jeder Mensch im Laufe seines Lebens vollständig beschreitet. Sie spiegelt vielmehr den potenziellen Entfaltungsraum der menschlichen Hirnentwicklung wider.

Die konkreten Bezugsgrößen zur Messung des individuellen Reifegrads sind hier besonders die Merkmale Ich-Stärke, Einsicht, Vernunft, Empathie und rationeller Verstand.

Als Ergänzung zum Erklärungsmodell von Roth soll hier die These aufgestellt werden, dass jedem Menschen einer von sechs funktionalen Reifegraden der Hirnentwicklung (kurz: Hirntypen) zugeordnet werden kann – und zwar unabhängig von zusätzlichen äußeren Einflüssen (beispielsweise durch Umwelteinflüsse, Unfälle, Infektionen) und erblichen Prädispositionen (beispielsweise durch Trisomie 21, Multiple Sklerose, Tumore).

Die sechs Hirntypen sind: „Der instinktive Hirntyp“ (Reifegrad 1), „der anpassbare Hirntyp (Reifegrad 2), „der jugendliche Hirntyp (Reifegrad 3), der moralische Hirntyp (Reifegrad 4), der sinnsuchende Hirntyp (Reifegrad 5) und „der integre Hirntyp“ (Reifegrad 6).

Abbildung: Die Fläche der Ebenen stellt die relative Gewichtung der sechs Reifegrade (Hirntsypen) innerhalb der Gesamtpersönlichkeit je Hirntyp dar;
Ebene 1: umweltstabile Merkmale als Entfaltungsraum der Ebene 3
äußerer Kegel: (Reiz-)Wahrnehmung,
innere Säule: instinktive Schreckreflexe, Orientierungsreaktion, Temperament als bipolarer Entfaltungsraum für das individuell-soziale Ich;
Ebene 2: Konditionierungsebene
familiäre und institutionelle Konditionierung, psychische Traumata;
Ebene 3: „Der eigentliche Mensch – die heranwachsende Ich-Identität“
individuel-egoistisches Ich (eigene Bedürfnisse, eigener Wille, Ich-Stärke),
soziale Fähigkeiten (Einsicht, Vernunft, Ethik, Empathie),
Intuition, divergentes Denken;
Ebene 4: geistige / kognitive Fähigkeiten
Sprache, geistige Intelligenz, rationaler Verstand

Reifegrad 1: Der instinktive Hirnyp

Wenn die Hirnentwicklung im ‚funktionalen Säuglings-Stadium‘ stoppt, entsteht der instinktive Hirntyp (Punkt 1 bis 4). Menschen dieses Typs bleiben darauf beschränkt, banalste Sinneseindrücke der Außenwelt (1, 4) wahrzunehmen, die in einem sehr kleinen Radius um sie herum auftreten. Das ‚Wir-Gefühl‘ (2) wird von ihnen als eine transaktionale, nahezu animalisch wirkende Zugehörigkeit zur Gruppe erlebt. Die Gedankengänge dieses Typs bleiben auf eine relative Schlichtheit begrenzt (4).

Reifegrad 2: Der anpassbare Hirnyp

Der anpassbare Hirntyp (Punkt 5 bis 8) ist mit einer neuronalen Bereitschaft ausgestattet, sich auch als Erwachsener über Gruppendruck (Belohnung/Bestrafung) (6) formen zu lassen. Weil das individuell-soziale Ich (7) auf dieser Stufe nur rudimentär entwickelt ist, glauben Menschen dieses Typs, dass sie ‚das Richtige‘ tun, wenn es sich für sie ‚gut anfühlt‘. Ob das familiäre oder gesellschaftliche System funktional (gesund) oder dysfunktional (gestört) ist, spielt für ihre Anpassungsbereitschaft keine Rolle. Als Beispiel können die pflichtbewussten „Lehrer“ des Milgram-Experiments genannt werden. Die komplexe Zusammenhänge der Außenwelt können von diesem Typ nur unzureichend verstanden werden (8).

Reifegrad 3: Der jugendliche Hirnyp

Wenn die Hirnentwicklung im ‚funktionalen Pubertäts-Stadium‘ endet, entsteht der jugendliche Hirntyp (Punkt 9 bis 12). Daher wirken Personen dieses Typs bis ins hohe Alter wie willensstarke, ich-zentrierte, risikofreudige (11) und cliquenbildende Jugendliche, die das tun möchten, was Erwachsene machen, dafür aber noch nicht die nötige Reife entwickelt haben. Optimistisch und vor Lebenskraft strotzend sind sie gewillt, die Grenzen des Machbaren auszutesten. Die familiäre und kulturelle Konditionierung (10) bildet dabei ein unerschütterliches Fundament an Glaubensstrukturen, in welches das individuell-soziale Ich (11) vollumfänglich eingebettet ist.

Reifegrad 4: Der moralische Hirnyp

Der moralische Hirntyp (Punkt 13 bis 16) wirkt bereits erwachsener und vernünftiger. Diese Menschen zeigen eine hohe Bereitschaft, die Führung in einer Gruppe zu übernehmen. Diese soll auf Basis ihrer Werte, Regeln und Normen einen Zusammenhalt bilden. Die Empathie, die in solchen Systemen vorhanden scheint, ist neuronal betrachtet aber lediglich eine Belohnung für deren Anpassungsbereitschaft (15). Diese Menschen können nur das am Gegenüber schätzen und lieben, was sich mit ihren eigenen unbewussten Motiven (13, 14) und Interessen (15) deckt. Die Wahrnehmung bleibt darauf ausgerichtet, die äußere, materielle Welt kognitiv (16) zu erforschen. Diese Menschen möchten wissen, ‚wie‘ etwas funktioniert – nicht warum. Die durch sie selbst gleichgeschalteten Systeme können von den nachfolgend beschriebenen Hirntypen als Eingriff in deren Persönlichkeitsrechte empfunden werden.

Reifegrad 5: Der sinnsuchende Hirnyp

Der sinnsuchende Hirntyp (Punkt 17 bis 20) beschäftigt sich schon frühzeitig mit Fragen wie: ‚Wer bin ich?‘ und ‚Warum sind Menschen so unterschiedlich?‘ – folglich mit dem ‚Warum‘. Kulturelle Vielfalt und das Andersartige, das ‚bunte Leben‘, empfinden diese Menschen als Bereicherung. Auch sie suchen Zugehörigkeit zu einer Gruppe, möchten ihr individuell-soziales Ich (19) in dieser aber frei entfalten dürfen. Diese Menschen können bewusst Inkongruenzen (18, 19) in sich wahrnehmen und Schattenseiten von moralischen Anforderungen erkennen. Weil sich Einsicht, Vernunft und Empathie (19) nur langsam entwickeln, gelingt es diesen Menschen häufig nicht, ihre eigenen Bedürfnisse mit der Außenwelt diplomatisch in Einklang zu bringen.

Reifegrad 6: Der integre Hirnyp

Aufgrund seiner funktionalen Besonderheiten kann der integre Hirntyp (Punkt 21 bis 24) eine besondere Klarheit im Geiste erreichen. Weil die in der Kindheit geprägten Lebens- und Rollenmuster (22) im Erwachsenenalter eher wie Gefühle wirken, die mit eigenen Bedürfnissen (23) abgeglichen werden, leben diese Menschen im Vergleich zu anderen Hirntypen bewusster. Integre streben danach, die Würde anderer Menschen (unabhängig von Kultur, Religion, Herkunft) zu achten und somit das ‚Ich‘ und das ‚Du‘ in Einklang zu bringen. Kognitive Fähigkeiten (24) weichen dem Bedürfnis, Erkenntnisse durch intuitives Wissen (23), Introspektion und das damit einhergehende Erleben und Erfühlen zu generieren. Wenn Menschen dieses Typs von den Territorial- und Machtkämpfen unreiferer Hirntypen überfordert sind, ziehen sie sich häufig aus der Gesellschaft zurück.

Welche Lehren können nun aus dieser Erkenntnis gezogen werden?

Das Konzept der verschiedenen Hirntypen soll dazu dienen, ein Verständnis füreinander zu schaffen, die Ursachen dysfunktionaler Systeme zu verdeutlichen und Impulse für nötige Kurskorrekturen zu geben.

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Das Buch ist im Goldegg Verlag erschienen. Wer ein handsegniertes Exemplar von mir erwerben möchte, der kann mich per E-Mail anschreiben. Dann schicke ich es zum vergünstigen Preis von 19 Euro plus 5 Euro Versand an Dich mit einer kleinen Überraschung. Und Du bekommst zusätzlich eine Einladungen in meine exclusive Facebook-Community, in der wir uns auch zu dieser Lehre fachlich austauschen können.

Ich freue mich auf unseren Austausch!

Monika M. Hoyer

Fußnote 1: Gerhard Roth, Fühlen, Denken, Handeln – Wie das Gehirn unser Verhalten steuert, 1. Auflage 2001, Suhrkamp Verlag, S. 318 ff.
Die vollständige Literaturliste kann bei der Autorin erfragt werden.

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